Deutsche sind die kompliziertesten Kunden der Welt
Große Ketten wie Walmart scheitern regelmäßig an Deutschland. Niedrige Preise, beste Qualität, Top-Service – die Kunden hierzulande treiben Markt-Neulinge mit ihren Erwartungen oft zur Verzweiflung.
Der amerikanische Einzelhandels-Titan Walmart hat es probiert, die französische Kette Intermarché und Delhaize aus Belgien. Alle sind mit ihren Versuchen gescheitert, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, und auch andere ausländische Markteinsteiger tun sich hierzulande oft schwer. Einen Hinweis auf die tieferen Gründe für das merkwürdige Phänomen liefert jetzt eine internationale Studie der Unternehmensberatung Accenture über das Verhalten von Konsumenten in den unterschiedlichsten Märkten. Ergebnis: "Der deutsche Kunde hat die höchsten Ansprüche der Welt."
Nach der Studie, die der "Welt" exklusiv vorliegt, sind die Verbraucher in Deutschland besonders verwöhnt. Sie erwarteten auf allen Kanälen eine schnelle und einfache Geschäftsabwicklung, kompetente Beratung, schnelle Problemlösungen und günstige Preise - und sie seien besonders schnell frustriert, wenn es einmal irgendwo hakt. Dann wechselten sie gern mal den Anbieter und seien nur schwer wieder zurückzugewinnen. "Die Deutschen erwarten in allen Dimensionen signifikant mehr von ihren Anbietern als Kunden in anderen Märkten, um zufrieden zu sein", fassen die Autoren zusammen.
Die deutschen Kunden recherchieren sehr systematisch, bevor sie sich für ein Angebot entscheiden. Sie nutzen Kommentare und Produktvergleiche, und das Wort von Freunden zählt viel
Accenture hat einen guten Überblick über die Entwicklung des Kundenverhaltens in aller Welt. Seit zehn Jahren führt die Strategieberatung jährlich den "Global Consumer Pulse Research" durch. Für die jüngste Studie befragte sie im Juli und August vergangenen Jahres knapp 24.000 Konsumenten in 33 Ländern, davon rund 1200 in Deutschland. Die Ergebnisse sind nach eigenen Angaben repräsentativ.
Frust der deutschen Kunden steigt
Schon vor dem Kauf schauen die Kunden in der Gegend zwischen Kiel und Passau besonders genau hin. Überdurchschnittlich viele – 83 Prozent – nutzen laut Umfrage inzwischen Online-Kanäle, um sich über Hausgeräte, Bekleidung, Bankdienstleistungen oder Energieversorger zu informieren, aber sie belassen es nicht dabei. "Die deutschen Kunden recherchieren sehr systematisch, bevor sie sich für ein Angebot entscheiden. Sie nutzen Kommentare und Produktvergleiche, und das Wort von Freunden zählt viel", sagte Sven Drinkuth, Accenture-Geschäftsführer und Leiter des Bereichs Vertrieb und Kundenservice.
Allerdings nutzt die Sorgfalt den Käufern offenbar nicht viel, denn oft erfüllen die Anbieter die Erwartungen trotzdem nicht. "Das Frustrationsniveau ist in Deutschland im vergangenen Jahr gestiegen", lautet ein weiteres Ergebnis der Untersuchung. 87 Prozent der unzufriedenen Kunden in Deutschland beschwerten sich auf Nachfrage über falsche Versprechungen der Anbieter, 83 Prozent sahen ihre Erwartungen in den Datenschutz nicht erfüllt, 80 Prozent maulten über unqualifizierte Mitarbeiter. Alle Prozentsätze liegen klar höher als in anderen reifen Konsummärkten.
Das besonders hohe Erwartungsniveau mag auch damit zusammenhängen, dass der Wettbewerb um die deutschen Verbraucher in den letzten Jahren auf allen Ebenen extrem hart war. Die Kunden ließen ihre Muskeln spielen, indem sie die Taschen weitgehend geschlossen hielten. "Wir haben in Deutschland die niedrigsten Preise bei Lebensmitteln, Flatrates in der Telekommunikation und Girokonten gratis", zählt Drinkuth die Folgen auf. Für die Verbraucher könnte das freilich über kurz oder lang "zum Pyrrhus-Sieg geraten", warnte er: "Guten Service gibt es auf die Dauer nicht umsonst."
Geiz ist nicht mehr geil
Inzwischen sind manche Preise anscheinend so klein, dass die Verbraucher sie aus den Augen zu verlieren beginnen. Erstmals seit mindestens zehn Jahren schauen sie nicht mehr automatisch zuerst auf das Preisschild, bevor sie irgendwelche anderen Gesichtspunkte in ihre Kaufentscheidung einbeziehen. "Das ist ein Wendepunkt für Deutschland", diagnostizierte Drinkuth, "Geiz ist nicht mehr geil, Vertrauen ist wichtiger."
Die Zahlen belegen den Schwenk. Im Vergleich zur Vorläufer-Studie hat die Vertrauenswürdigkeit des jeweiligen Anbieters als Kaufkriterium den größten Sprung gemacht – um sechs Prozentpunkte auf 32 Prozent. Sie ist laut Accenture nun, noch vor dem Preis, zweitwichtigster Faktor beim Thema Kundenzufriedenheit. Noch mehr Wert legen die Käufer nur auf eine einfache und zügige Geschäftsabwicklung.
Weltweit stellt die rasante Digitalisierung der Konsumwelt Kunden wie Unternehmen gleichermaßen vor große Herausforderungen, wie der Vergleich über den Wandel der Konsumgewohnheiten in den letzten Jahren zeigt. Anbieter etwa müssen sich darauf einstellen, mit ihren Kunden über die unterschiedlichsten Kanäle in Kontakt zu kommen. Einige Verbraucher setzten komplett auf Computer oder Smartphone als Kommunikationsmittel. "Sie wollen mit ihren Anbietern zu jedem Anlass über Online-Kanäle kommunizieren und hassen es, zur Konversation mit Menschen gezwungen zu werden", beobachten die Berater.
Am anderen Ende des Spektrums stünden jene Konsumenten, die sich nach wie vor auf die traditionellen Formen verließen – und dazwischen eine große, undogmatische Mehrheit. "Unsere Erfahrungen zeigen, dass auch ältere Gruppen überraschend offen sind, wenn es darum geht, neue Kanäle zu nutzen und mit Online-Medien zu experimentieren", heißt es in der Studie.
Kunden sind schneller weg
Zu den Gewinnern am Markt werden nach Auffassung von Accenture Unternehmen zählen, die es schaffen, die neue Vielfalt möglichst zügig in den Griff zu bekommen. Wenn ein Kunde seiner Versicherung eine E-Mail schreibe und ein paar Tage später im Call Center anrufe, um nachzuhaken, erwarte er, dass der Mitarbeiter seinen Fall rasch zuordnen könne, nennt Drinkuth ein Beispiel. Im Handel wiederum muss die Koordination zwischen Läden vor Ort und Online-Geschäft reibungslos klappen. Ob Bestellung im Netz oder Kauf im Laden, ob Zustellung nach Hause oder Abholung vor Ort - das müssen die Händler stimmig und transparent abgleichen, wollen sie ihre Kunden nicht verärgern.
Eine Wahl haben die Anbieter freilich nicht. "Wer alle Kunden erreichen will, muss sie über alle Kanäle bedienen", ist Drinkuth überzeugt. "Die Quintessenz für die Unternehmen lautet: Höre auf die Wünsche Deiner Kunden." Denn die seien heutzutage schneller verloren denn je: Eine der wichtigsten Konstanten der Digitalisierung der vergangenen Jahre sei eine stetig sinkende Kunden-Loyalität.
Die Berater wären allerdings keine, würden sie aus dem wachsenden Wechselwillen nicht neue Geschäftschancen destillieren. Dank der schrumpfenden Kundentreue vagabundiere ein Umsatzpotenzial von jährlich 4600 Milliarden Euro durch die untersuchten 33 Märkte. Das sei ein Drittel mehr als noch vor fünf Jahren.
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Quelle: http://www.welt.de/wirtschaft/article137801892/Deutsche-sind-die-kompliziertesten-Kunden-der-Welt.html