Echte Unternehmer gesucht


Machtgesten, Kontrollblicke, Selbstinszenierungen und Skandale: Auch durch die diversen Krisen unserer Zeit verlieren Dinosaurier-Chefs ihre alten Instrumente. Wer klug ist, nutzt den Kontrollverlust als Chance. Er war schon länger angezählt: Der unantastbare, unstreitbare und unersetzliche Chef.
Die staatliche Geldflut kann die akute Krise lindern - mehr nicht. Damit eine wirkliche neue Dynamik entstehen kann, ist vor allem eine Gruppe gefordert: Entrepreneure - "echte" Unternehmer der Neuzeit.




Der derzeitige Konjunktureinbruch ist der heftigste seit Generationen. Darüber herrscht inzwischen Klarheit. Und die Eurozone wird stärker betroffen sein als andere große Volkswirtschaften.  
Aktuelle Prognosen sagen nur eine lahme Belebung vorher, die Wohlstandsniveaus in westlichen, vor allem aber in ärmeren Ländern könnten auf Jahre unter dem Stand von 2019 bleiben. Das wäre eine soziale Tragödie mit erheblichem politischen Rückschlagspotenzial.
Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wie finden wir aus dieser misslichen Lage wieder heraus?

Alle Augen richten sich auf die Staaten: Regierungen und Notenbanken pumpen Billionen Euro und Dollar in die Wirtschaft. Die Sozialsysteme laufen auf Hochtouren, Konjunkturprogramme werden verabschiedet; Staaten beteiligen sich an Konzernen.

Altes bricht weg - und bietet Raum für Neues

Der Staat kann die Einkommen von Privatbürgern eine Zeit lang absichern, die Nachfrage ankurbeln, strauchelnde Unternehmen und Banken auffangen. Nachhaltige Wohlstandszuwächse jedoch kann er weder dekretieren noch herbeisubventionieren. Nötig wäre ein gehöriger Innovationsschub, der das Produktionspotenzial der Wirtschaft vermehrt.  
Gerade jetzt braucht es echte Entrepreneure - Leute, die bereit und in der Lage sind, in dieser wirtschaftlich, politisch und epidemiologisch höchst unübersichtlichen Lage zu handeln und Neues auszuprobieren. Leute mit Leistungs- und Führungswillen, die den Mut haben, Dinge zu wagen, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt, die Möglichkeit des eigenen Scheiterns inbegriffen. 
Krisen bieten Chancen. Der Strukturwandel beschleunigt sich. Neue Bedürfnisse und Bedarfe entstehen. Während der Großen Depression der Dreißigerjahre wurden diverse Firmen gegründet, die später zu Großunternehmen heranwuchsen. Im Depressionsjahr 1930 entstanden beispielsweise die Automarken Porsche und Pininfarina, der Logistiker Dachser, der Füllerhersteller Lamy, das Elektrounternehmen Grundig und die Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken. 1938, nach harten Jahren der wirtschaftlichen Schrumpfung in den USA, starteten Bill Hewlett und David Packard ihren späteren Elektronikweltkonzern.
Wer folgt ihnen heute nach? Der Impfstoffentwickler Curevac aus Tübingen, an dem sich die Bundesregierung mit 300 Millionen Euro beteiligt und der dennoch in den USA an die Börse strebt?

Was hohe Gewinne rechtfertigt - und was nicht

Wir stehen vor einer dichten Nebelwand. Wir wissen nicht, ob Covid-19 abermals in einer globalen Welle über uns kommt, wann ein Impfstoff oder wirksame Behandlungen zur Verfügung stehen, ob die geostrategische Lage sich zwischen den Großmächten USA, China, Indien, Russland und anderen extrem zuspitzt, ob Großbritannien zum Jahresende mit oder ohne Anschlussvertrag aus dem EU-Binnenmarkt aussteigt, ob sich der Westen in einem Handelskrieg zerlegt, ob ein grünes Zeitalter beginnt mit Elektromobilität und Wasserstoffwirtschaft oder ob eine Renaissance der klimaschädlichen Brennstoffe Kohle und Öl bevorsteht - um nur einige akute Beispiele für bekannte Unsicherheitsmomente zu nennen. 
Viele Leute, darunter auch Manager, verfallen in solchen Phasen auf allzu menschliche Verhaltensweisen: wegducken, einigeln und wie gelähmt verharren. Unsicherheit verunsichert Verbraucher und Investoren. Gerade deshalb können Rezessionen sich zu Depressionen chronifizieren.

Unternehmer hingegen, so sieht es ein Zweig der ökonomischen Theorie, sind Leute, die sich von anderen Menschen vor allem dadurch unterscheiden, dass sie sich auch in einem extrem unübersichtlichen Umfeld zurechtfinden und handlungsfähig bleiben. Sie sind es, die in Phasen von Unsicherheit Leadership übernehmen. Es ist im Übrigen diese besondere Fähigkeit, die hohe Gewinne rechtfertigt: Unternehmerische Profite, formulierte einst der Ökonom Frank Knight, resultierten einzig aus der "inhärenten, totalen Unsicherheit der Dinge und dem brutalen Faktum, dass die Folgen menschlichen Handelns nicht vorhersehbar sind". Anders gewendet: Diejenigen, die damit umgehen können, haben ihr Geld verdient - weil sie der Gesellschaft entscheidende Anstöße geben und sie aus der Lethargie herausholen.

Echt unsicher

Die Coronakrise ist ein Unsicherheitsschock, wie ihn die Menschheit lange nicht erlebt hat und dessen Auswirkungen kaum abschätzbar sind. 
Die Finanzkrise von 2008 war ein Finanzmarktunfall, wie er immer wieder vorkommt. Die Eurokrise der Jahre ab 2010 rührte vor allem aus dem fehlenden Einigungswillen wichtiger EU-Regierungen, darunter der deutschen, also aus Politikversagen. Dieses Mal ist alles anders. "Echte exogene Unsicherheit" zu messen, ist extrem anspruchsvoll, wenn nicht gar unmöglich. Die Folgen treten in unvorhersehbarer Weise zutage. Prognostizieren lassen sich solche Schocks kaum. Immerhin wären bessere Früherkennungsstrategien möglich (wie das  Dortmunder Forschungszentrum DoCMA in einem gerade veröffentlichten Paper darlegt).

Wachstumsbremse Persona

Echte Unsicherheit erfordert echte Unternehmer. Leider gehört dies nicht gerade zu Deutschlands Stärken. Bei Neugründungen herrscht Ebbe: Die Gründungsrate hat sich seit dem Jahr 2000 fast halbiert, so der Wirtschaftssachverständigenrat ("Fünf Weise"). In den vergangenen Jahren wurden bei guter deutscher Konjunktur sogar mehr Firmen dichtgemacht als neugegründet. 
Der entscheidende Faktor, der in der Krise das Unternehmerdasein begünstigt, ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern. In konjunkturell guten Zeiten saugen die etablierten Großunternehmen den Arbeitsmarkt leer. Sie locken mit guter Bezahlung, sicheren Arbeitsplätzen, tariflich garantierten Arbeitszeiten. So war das in den vergangenen Jahren. Entsprechend wurde der ungedeckte Arbeitskräftebedarf mehr und mehr zur Wachstumsbremse.
Bei zeitweise mehr als 1,4 Millionen offenen Stellen gelang es schon Konzernen kaum, ihren Personalbedarf zu decken. Gerade bei technologisch anspruchsvollen Qualifikationen herrschte akuter Mangel. Noch schwieriger war es für ambitionierte Start-ups, Leute zu finden, wie eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC zeigt. Auch Betrieben im Handwerk oder in der Landwirtschaft gingen allmählich die Mitarbeiter aus.

All das ändert sich derzeit. Die Zahl der offenen Stellen ist mit Ausbruch der Coronakrise schlagartig gesunken, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelt hat. Die Zahl der Kurzarbeiter ist um ein Vielfaches höher als in der letzten Krise von 2008/09. Scheinbar sichere Jobs sind nicht mehr so sicher, wie sie noch vor Kurzem schienen.
Bislang steigen die Arbeitslosenzahlen nur moderat. Aber wenn sich die Krise hinzieht, werden viele Industrieunternehmen ihre Belegschaften weiter schrumpfen - und einen Kurs fortsetzen, den sie bereits voriges Jahr eingeschlagen haben. Die Autokonzerne und ihre Zulieferer kürzen Personal, ebenso große Banken, Einzelhandel, Hotellerie, Fluggesellschaften - die Liste ließe sich verlängern. 
Dass Hochschulabsolventen aus technologienahen Studiengängen direkt von der Uni weg mit sehr anständigen Gehältern, zugesagter Karriereförderung und 35-Stunden-Woche geködert wurden, diese Zeiten dürften zu Ende gehen. Das eröffnet Spielräume und Chancen - für das Neue, Unerwartete und das (im guten Sinne) Überraschende.

Zukunftstrends



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Quelle: Online-Artikel, Kolumne von Henrik Müller via spiegel.de, abgerufen am 21.02.20, zzgl. Board Of Innovation (Future Scan)

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