Kapital im 21. Jahrhundert

Der zentrale Widerspruch des Kapitalismus

Die Verteilung der Vermögen ist heutzutage eine der interessantesten und meist diskutierten Fragen. Aber was weiß man wirklich über ihre langfristige Entwicklung? Für die Dynamik der privaten Kapitalakkumulation zwangsläufig zu einer immer stärkeren Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger, wie Marx das bereits angenommen hat? Oder führen die ausgleichenden Kräfte von Wachstum, Wettbewerb und technologischen Fortschritt von selbst zu einer Verringerung der Ungleichheit und einer harmonischen Stabilisierung in den fortgeschrittenen Entwicklungsphasen?
Die Dynamik einer auf Privateigentum beruhenden Marktwirtschaft, wenn sich selbst überlassen bleibt, setzt machtvolle Konvergenzkräfte frei, die namentlich in der Verbreitung von Kenntnissen und Fähigkeiten liegen, aber auch machtvolle Divergenzkräfte, die unsere demokratischen Gesellschaften und jene soziale Gerechtigkeit bedrohen, zu ihren Legitimationsgrundlagen zählt.
Die mächtigste die stabilisierende Kraft liegt in der Tatsache, dass die private Kapitalrendite dauerhaft sehr viel höher sein kann als die Wachstumsrate des Einkommens unter Produktion. Diese Ungleichung sorgt dafür, dass Vermögen, die aus der Vergangenheit stammen, sich schneller Rekapitalisierung, als Produktion und Löhne wachsen. Diese Ungleichheit spricht sich ein fundamental Widerspruch aus. Ich trage sie ausfällt, umso mehr droht der Unternehmer sich in einen Cent je zu verwandeln und macht über diejenigen zu gewinnen, nicht als ihre Arbeit besitzen. Wenn es einmal da ist, reproduziert Kapital sich von selbst - und zwar schneller, als die Produktion wächst. Die Vergangenheit frisst die Zukunft.
Die möglichen Konsequenzen für die langfristige Dynamik der Verteilung von Reichtum sind furchterregende, vollends dann wenn dieser Prozess durch die Ungleichheit der Rendite verstärkt wird, die vom Umfang des Ausgangskapitals abhängig ist, und wenn die Kluft zwischen den Vermögen im globalen Maßstab wächst.


Es gibt keine einfache Lösung, die dieses Problem aus der Welt schaffen könnte. Wachstum kann durch Investitionen in Bildung, Erkenntnis und umweltfreundliche Technologien gefördert werden. Historische Erfahrung lehrt, können nur Länder, die gegenüber anderen aufholen müssen, wie Europa während des Wirtschaftswunders der Nachkriegsjahrzehnte oder heutige China und die Schwellenländer, mit einem solchen Tempo wachsen. Für Länder, die Ende globalen Technologiegrenze stehen, und das wird eines näheren oder fernen Tages für die gesamte Erde gelten, gibt es allen Grund zur Annahme, dass die Wachstumsrate auf lange Sicht kaum über 1-1,5 % pro Jahr steigen kann, ganz gleich, welche politischen Maßnahmen die Zylinder greifen es sind die Kriege gewesen, dem 20. Jahrhundert reinen Tisch mit der Vergangenheit gemacht, die Kapitalrendite stark abgebaut und dadurch die Illusionen einer kulturellen Überwindung des Kapitalismus und jenes fundamentalen Widerspruchs erzeugt haben.
Gewiss kann man die Kapitalrente so stark besteuern, dass die private Rendite unter die Wachstumsrate fällt. Tut man dies aber zu massiv, läuft man Gefahr, den Motor des Wachstums abzuwürgen und damit die Wachstumsrate weiterzusenden. Die Unternehmer hätten dann allerdings keine Zeit mehr, sich in Rente dies zu verwandeln, weil es sie nicht mehr gäbe.
Die geeignete Lösung ist eine jährlich gehobene progressive Kapitalsteuer. Sie verhindert, dass die Ungleichheitsspirale sich endlos weiterdreht, während sie die Kräfte des Wettbewerbs nicht beeinträchtigt und der Anreiz zu neuer Akkumulation aufrechterhält. Das würde dem unbegrenzten Anwachsen der globalen Vermögensungleichheiten Einhalt gebieten, die derzeit in einem Tempo zu nehmen, dass auf lange Sicht nicht mehr tragbar ist und selbst die dümmsten Verfechter der Idee vom sich selbst regulierenden Markt mit Sorge füllen sollte. Derart unverhältnismäßige Vermögensungleichheiten, auch das lässt sich aus der Geschichte lernen, haben mit dem Geist des Unternehmertums nichts mehr zu tun, und sie sind dem Wachstum alles andere als zuträglich.
Die Schwierigkeit dieser Lösung liegt darin, dass die progressive Kapitalsteuer ein sehr hohes Maß an internationaler Koordination, etwa im Rahmen der Europäischen Union, setzte man nur bestehende Errungenschaften aufs Spiel (angefangen mit dem Sozialstaat, der nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts mühsam aufgebaut worden war), ohne dass dabei etwas anderes herauskäme als ein riesiger Markt, auf dem ein immer vollkommenerer Wettbewerb herrsche - und dieser vollkommene Wettbewerb änderte nichts an der Ungleichung, die keineswegs von irgendeiner Unvollkommenheit des Marktes oder Wettbewerbs herrührte. Dieses Risiko besteht, aber mir scheint, es gibt keine andere Möglichkeit den Katechismus wieder unter Kontrolle zu bringen als die, alles auf die Demokratie zu sitzen - und das kann in Europa nur heißen: auf eine Demokratie im europäischen Maßstab. Größere politische Gemeinschaften, wie die vereinigten Staaten oder China, mögen ein etwas breiteres Spektrum möglicher Optionen haben. Aber für die kleinen europäischen Länder, die tatsächlich auf der Landkarte einer kommenden Weltwirtschaft immer winziger aussehen werden, hält der Weg nationale Abschottung nur noch tiefere Kränkungen und Enttäuschungen bereit. Der Nationalstaat bleibt Ebene für eine grundlegende Modernisierung zahlreicher sozial-und steuerpolitische Maßnahmen und in gewissen Maße auch für die Entfaltung neuer Formen der governance neuer intermiediärer, zwischen Staatseigentum und Privateigentum liegender Formen geteilten Eigentums, deren Entfaltung eine der großen Herausforderungen der nahen Zukunft darstellt. Aber nur die politische regionale Integration eröffnet die Aussicht auf eine wirksame Regulierung des globalisierten Patrimonialkapitalismus in diesem Jahrhundert.

Für eine historische und politische Ökonomie

Die Ökonomie ist als Subdisziplin der Sozialwissenschaften (und einen anderen Platz kann ich für sie nicht erkennen) neben Geschichtswissenschaften, Soziologie, Anthropologie, Biologie und anderen Disziplinen einzuordnen. Ich mag den Ausdruck Wirtschaftswissenschaft nicht besonders; er erscheint mir furchtbar anmaßend und kann den Anschein erwecken, die Ökonomie durfte sich eine überlegenen Wissenschaftlichkeit rühmen, diese den anderen Sozialwissenschaften voraus hat. Der Ausdruck politische Ökonomie ist mir sehr viel lieber. Mag ein wenig altmodisch klingen, aber bringt zum Ausdruck, was in die einzige spezifische Auszeichnung der Ökonomie innerhalb der Sozialwissenschaften zu sein scheint, nämlich ihre politische, normative und moralische Absicht.
seit ihren Anfängen ist die politische Ökonomie auch eine wissenschaftliche oder zumindest rationale Untersuchung der Frage, welche Rolle der Staat idealerweise in der ökonomischen und sozialen Organisation eines Landes spielen sollte. Welche politischen Optionen bringen uns einer idealen Gesellschaft näher? Sich in einer Wissenschaft vom guten und bösen hervorzutun - einer Materie, für diesen Spezialisten gibt - ist eine Ambition, die man belächeln mag. Aber sie ist zugleich notwendig. Wer sich als ironischer Kommentator der Reden und Statistiken anderer aus der öffentlichen Diskussion und politischen auseinander dazu herausfällt, macht sich als Sozialwissenschaftler zugleich. Sozialwissenschaftler sollten sich alle Intellektuellen, und vor allem alle Bürger, in öffentlichen Debatten engagieren. Dieses Engagement kann sich nicht in der Berufung auf abstrakte Prinzipien (Gerechtigkeit, Demokratie, Weltfrieden) erschöpfen. Es muss konkrete Gestalt in ganz bestimmten Entscheidungen, Institutionen und Politiken annehmen, ob es nun um den Sozialstaat, die Steuern oder die Schulden geht. Es gibt nicht auf der einen Seite eine kleine Elite politisch Verantwortlicher und auf der anderen Seite ein Riesenheer von Kommentatoren umzuschauen, die allenfalls dazu da sind, alle fünf Jahre ihren Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Die Vorstellung, die Ethik des Forschers und die des Bürgers sein nicht miteinander vereinbar, und man müsse Diskussion über die Mittel und über die Zwecke voneinander trennen, scheint mir ein Trugschluss, verständlich zwar, aber gefährlich.


Die Ökonomen haben allzu lange ihre Idealität über ihre wissenschaftlichen Methoden definiert. in Wahrheit beruhen diese Methoden vor allem auf einem übermäßigen Gebrauch mathematische Modelle, die häufig nur als Vorwand dienen, um sich aufzuspielen und davon abzulenken, dass so gar nichts es wurde und es wird noch immer zu viel Energie an bloße theoretische Spekulationen verschwindet, ohne dass die ökonomischen Tatsachen, die man zu erklären, oder die sozialen und politischen Wurzeln, zu lösen gedenkt, hinreichend genau definiert würden. Man begegnet heute unter Ökonomen einem erheblichen Enthusiasmus für empirische Methoden auf der Grundlage kontrollierter Experimente. Mit Zurückhaltung unbedacht angewandt können diese Methoden nützlich sein, und zumindest gebührt Ihnen der Verdienst, dass ein Teil der Zunft sich wieder (was überfällig war) auf konkrete Fragen und nachhaltige Forschung besinnt. Aber diese neuen Ansätze sind manchmal ihrerseits nicht frei von einer bestimmten  Illusion. Man kann zum Beispiel vieel Zeit damit verbringen, die unbezweifelbar Existenz eines reinen Kausalzusammenhangs zu beweisen, und darüber vergessen, dass die verhandelte Frage manchmal vom begrenztem Interesse ist. Häufig versäumen es solche Methoden, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, und verlieren aus dem Auge, dass die Geschichte unsere wichtigste Erkenntnisquelle bleibt. Man kann nicht die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachstellen und so tun, als hätte der erste Weltkrieg nicht stattgefunden, oder als wären die Einkommensteuer oder das umlagefinanzierte Rentensystem nie erfunden worden. Historische Kausalzusammenhänge lassen sich sicher nie zweifelsfrei nachweisen. Kann man sich wirklich sicher sein, dass diese oder jene Politik diese oder jene Wirkung gezeigt hat? Oder hatte die Wirkung noch andere Ursachen? Und dennoch sind die wie immer auch unvollkommenen Lehren, die wir aus der Geschichte und namentlich der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts, von unschätzbare Bedeutung und werden sich durch kein kontrolliertes Instrument jemals ersetzen lassen. Um sich nützlich zu machen, sollten Ökonomen vor allem lernen, in der Wahl ihrer Methoden pragmatischer, als es sich für kein Mittel zu schade zu sein, und es darin den anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen gleichzutun.

Umgekehrt sollten Vertreter anderer sozialwissenschaftlichen Disziplinen das Studium ökonomischer Tatsachen nicht den Ökonomen überlassen und nicht gleich den Anblick eine Zahl vor lauter Schreck die Flucht ergreifen, oder Betrug wittern oder sich mit der Feststellung begnügen, jede Zahl sei eine soziale Konstruktion, was natürlich immer zutrifft, aber nicht genügt. Im Grunde laufen beide Formen der Abdankung auf dasselbe hinaus, weil sie das Feld dem anderen überlassen.

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