neoÖkologie
Genesis - Ob Kaufentscheidungen, gesellschaftliche Handlungsmoral oder Unternehmensstrategien: Der Megatrend Neo-Ökologie etabliert ein neues Werte-Set, das in jeden Bereich unseres Alltags hineinreicht. Das Nachhaltigkeitsparadigma reprogrammiert die Codes der globalen Gesellschaft, der Kultur und der Politik – und richtet unternehmerisches Handeln sowie das gesamte Wirtschaftssystem fundamental neu aus. Auszüge aus der Megatrend-Dokumentation und dem Zukunftsreport 2023.
Der Mensch als Teil der Natur
Spätestens die Corona-Pandemie hat der Menschheit vor Augen geführt, welche fatalen Folgen ein falsches Mensch-Natur-Verhältnis nach sich ziehen kann. Im 21. Jahrhundert leben wir im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch zu einem dominanten Einflussfaktor für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Doch die Corona-Krise hat klar gemacht, dass völlige Kontrolle über die Natur eine Illusion ist und bleibt. So treiben auch die traumatischen Krisenerfahrungen die Erkenntnis voran, dass der Mensch nicht über der Natur steht, sondern Teil dieses umfassenderen, sich selbst organisierenden Systems ist.
Auch als Teil der Natur greift der Mensch modellierend in dieses System ein. Um es nicht noch weiter zu schwächen, sondern resilienter zu machen, müssen wir die Natur allerdings nicht vor uns schützen: Vor allem müssen wir lernen, wie wir sie sinnvoll und nachhaltig gestalten können. Unter diesen Vorzeichen werden nachhaltige Lebensstile immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit, die endgültig von Klischees und dogmatisch-ideologischen Hürden befreit ist. Dieser Wertewandel, der bereits breite Teile der Gesellschaft erfasst hat, verabschiedet den Schuldkomplex der vergangenen Jahrzehnte: Es geht nicht mehr um Verzicht und schlechtes Gewissen, sondern um zukunftsfähige und pragmatische Lösungsansätze, die Mensch und Technik nicht als Problem, sondern als Schlüssel für eine neo-ökologische Zukunft sehen.
Von dieser Erkenntnis ist die aktuelle Dynamik des Megatrends Neo-Ökologie geprägt. Sie schafft eine neue, lösungsorientierte Handlungsmoral, die unseren Alltag immer stärker beeinflusst. Das betrifft etwa Landwirte, die von Monokulturen auf Mischkulturen oder auf ökologischen Landbau umstellen, um Ernteverluste zu umgehen, aber auch ganze Länder, die sich im Sinne des Megatrends Neo-Ökologie ausrichten, um ihre Zukunft zu sichern – beispielsweise, indem sie auf ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energien oder nachhaltige Formen des Tourismus setzen. Das Ziel solcher Strategien ist stets das gleiche: die unumgängliche Adaption an veränderte Umstände, um das eigene Fortbestehen zu sichern. Sämtliche Wirtschaftsbereiche und -faktoren verändern sich derzeit in diese Richtung, von der Sicherung der Standortqualität bis zur Adressierung der neuen Erwartungsmuster, die den Konsum im 21. Jahrhundert kennzeichnen.
Nachhaltig leben und konsumieren
Eng damit verbunden ist der anhaltende Trend zum Minimalismus: Auch der bewusste, gezielte Verzicht beinhaltet den Anspruch, durch das eigene Konsumverhalten die Gesellschaft zu verändern. Die Corona-Krise hat den Minimalismus nun im großen Stil salonfähig gemacht, denn die Zwangsentschleunigung regte auch zur grundlegenden Reflexion unseres Konsumverhaltens an. Das tief liegende Bedürfnis nach einem achtsameren Konsum, das dabei geweckt worden ist, stärkt ein kritischeres Konsum- und Genussverhalten sowie einen selektiven Konsumverzicht. Umso mehr wird die Suche nach validen Maßstäben für die Erfassung globaler, nationaler und individueller Lebensqualität künftig zu einem zentralen Zukunftsthema werden.
Achtsame Nachhaltigkeit
Neben neo-ökologischen Bio-Produkten und Fair-Trade-Strategien etabliert sich auch der Trend zum Zero Waste immer weiter als zukunftsweisender Ansatz nachhaltigen Konsumierens. Das Konzept: Statt Verpackungsabfall aufwendig zu entsorgen und wiederzuverwerten, wird Müll erst gar nicht produziert. Das betrifft insbesondere das Thema Plastik: Wir leben heute in einer „Plastikzeit“, in der uns zwar nützliche Produkte aus Kunststoff umgeben – aber auch riesige Berge von Plastikmüll. Spätestens die Erkenntnis, dass wir tagtäglich Mikroplastik über die Nahrung zu uns nehmen, macht den Handlungsbedarf deutlich.
So soll die 2019 vom EU-Parlament verabschiedete Kunststoffstrategie das Bewusstsein der Konsumierenden stärken und Hersteller in die Pflicht nehmen. Zusätzlich wird an Alternativen zu herkömmlichen Plastikverpackungen geforscht. Im Kontext dieses Beyond-Plastic-Trends entwickeln vor allem Start-ups ökologische Substitute für Folien und Plastikbecher, von essbaren Eislöffeln aus Kakaoschale bis zu Seifen und Müslis aus kompostierbaren Behältnissen.
Doch trotz Unverpackt-Läden, alternativen Verpackungstools wie Bienenwachstüchern oder der Verbannung von Plastiktüten aus Supermärkten: Das Beyond-Plastic-Prinzip lässt sich im Alltag der Verbraucherinnen und Verbraucher noch immer schwer umsetzen. Je offensichtlicher der Mangel an Lösungen wird, die auf die Unterwegskultur der vernetzten Gesellschaft und den Logistikbedarf gegenwärtiger Handelsketten zugeschnitten sind, umso attraktiver werden alternative Ansätze – vor allem solche, die nicht nur den Konsumierenden verpackungsfreies Einkaufen ermöglichen, sondern auch Lösungen für Produzenten und Retailer anbieten. Dabei steigt der Druck auf produzierende Unternehmen in Sachen Plastikvermeidung und -alternativen stetig, allen voran auf Großkonzerne. Ähnlich wie es heute bereits Regional-, Bio- oder Fair-Trade-Regale in den Supermärkten gibt, werden sich künftig auch Beyond-Plastic- und Zero-Waste-Angebote weiter etablieren.
Konsumierende werden zu Prosumierenden
Konsumspezifische Veränderungsdynamiken werden generell stark vorangetrieben durch eine wachsende Einflussnahme der Verbraucherinnen und Verbraucher, welche insbesondere durch die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung entsteht. Beispielhaft für diesen tiefgreifenden Transformationsprozess, der Konsumierende zu Prosumierenden ermächtigt und unser traditionelles Verständnis des kapitalistischen Marktes radikal verändert, steht die Sharing Economy. Sharing ist das Leitmotiv einer neuen Generation von Konsumierenden, die mit dem Tauschen und Teilen im Internet aufgewachsen ist und eine andere Logik des Gebens und Nehmens verinnerlicht hat. Das Leitprinzip „Nutzen statt Besitzen“ hat sich auf große Bereiche der Businesswelt ausgedehnt und ist zu einem neuen Wertschöpfungsmodell geworden, vor allem dort, wo es um begrenzte Ressourcen geht.
Auch die gesellschaftsweite Popularisierung der Sharing-Kultur zeigt, dass der Megatrend Neo-Ökologie inzwischen vielerorts selbstverständlich gelebt wird, ohne dass sich der oder die Einzelne als „Öko“ verstehen muss. In Wechselwirkung mit anderen Megatrends wie Mobilität und Konnektivität wird sich diese Dynamik künftig noch verstärken, speziell in Branchen, die bisher von dem Phänomen noch nicht erfasst waren. Je mehr individueller Besitz in den Hintergrund tritt und Mieten zur Normalität wird und je stärker Trends wie Minimalismus, Zero Waste oder Beyond Plastic neue Märkte schaffen, umso mehr wird auch deutlich: Die nächste Wirtschaft wird nach neuen, auf Sinn und Nachhaltigkeit ausgerichteten Kriterien funktionieren.
Die Ära der Sinn-Ökonomie
Seit die Klimakrise in den Blick der Gesamtgesellschaft gerückt ist, ist Neo-Ökologie nicht nur zum zentralen Treiber für neue Werte geworden, sondern auch für neue Märkte – und damit auch für einen tiefgreifenden Systemwandel in der Wirtschaft. Dass es kein „Weiter so“ mehr geben kann, ist im kollektiven Bewusstsein angekommen. So wie viele Krisen unserer Zeit ist auch die Klimakrise eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung: Ihre Lösung kann nur gelingen, wenn sich sämtliche Gesellschaftsbereiche neu ausrichten auf ein neues Nachhaltigkeitsparadigma.
Die Next Generation of Business
Als Pioniere in Sachen Postwachstum und Sinn-Ökonomie fungieren im vernetzten Wirtschaftssystem jene Unternehmen, die schon heute nicht mehr nach Profitmaximierung, sondern nach dem Ausbau des sozialen oder ökologischen Nutzens streben. Die Akteure des Social Business rücken gesellschaftliche Probleme in den wirtschaftlichen Fokus, um sie mit neuen unternehmerischen Mitteln zu lösen – eine Idee, die insbesondere bei nachwachsenden Generationen auf Resonanz trifft. Damit werden Märkte gleichsam moralisch aufgeladen, und Marken übernehmen zusehends gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Der neo-ökologische Wertewandel wird den Status von Sozialunternehmen als ernst zu nehmende Business Player weiter etablieren, und durch ihre Vernetzung und Kollaboration wird ihr Impact auf das Wirtschaftssystem in Zukunft stark zunehmen. Heute mag die Vorstellung, dass alle Unternehmen auf Prinzipien von Ethik und Nachhaltigkeit basieren, noch visionär oder sogar abwegig erscheinen. Andererseits sehen wir bereits, dass eine 40-Stunden-Woche für einen als sinnentleert empfundenen Job nicht länger attraktiv ist und dass Geld und Statusobjekte von neuem Luxus abgelöst werden – Zeit, Freiheit, Flexibilität sowie ein individueller Beitrag für Mensch, Tier und Umwelt werden immer wichtiger. In der Sinn-Ökonomie von morgen werden Sozialunternehmen daher nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein.
In diesem Zusammenhang wird sich auch der Trend zum Direct Trade weiter etablieren. Als Weiterentwicklung des Fair Trade zielt Direct Trade darauf ab, die Supply Chain so transparent und kurz wie möglich zu machen. Das Besondere ist die direkte Verbindung von Produzierenden und Konsumierenden, meist auf digitalen Wegen, sodass kostenintensive Zwischenhändler wegfallen.
Eine Basis dafür bietet die Blockchain-Technologie, die neue Dimensionen in Sachen Transparenz und Sicherheit erschließt. Dies kann etwa helfen, eine nachhaltige Landwirtschaft zu stärken: Ein Gut kann von der Pflanze über die Produktion und die Transportmittel bis zum Händler lückenlos zurückverfolgt werden. Insbesondere Sozialunternehmen könnten künftig von der Blockchain profitieren. Auf ihrer Grundlage lassen sich transparente Strukturen erschaffen, mittels derer eine an sozial-ökologische Zwecke gebundene Verwendung der Mittel leichter zu garantieren ist. Auf diese Weise kann besser dafür gesorgt werden, dass die Gelder stets in einem sozial-ökologischen Kreislauf bleiben.
Grüne Zukunftstechnologien
Global denken, lokal handeln
Globalisierung und fortschreitende Vernetzung lassen die Welt immer näher zusammenrücken und machen die Probleme des Planeten sichtbarer und unmittelbarer. Dabei stärkt die globale Sicht auch den individuellen Willen, zu handeln, bei sich selbst anzufangen und die eigene, lokale Umwelt zu verbessern. Das ist die Idee der Glokalisierung – global denken, lokal handeln. Für immer mehr Menschen ist Nachhaltigkeit deshalb nicht nur ein elementares Thema, sondern auch ein zutiefst persönliches Anliegen, das sie in ihrer unmittelbaren Umgebung verfolgen.
In diesem Zusammenhang gewinnt das Lokale stark an Bedeutung, insbesondere die Herstellung regionaler Kreisläufe, die weitgehend unabhängig sind von jenen globalen Lieferketten, die während der Corona-Krise plötzlich ausfielen. Die kollektive Reflexion über die Herkunft unserer Produkte erhöht unsere Wertschätzung gegenüber der lokalen Produktion, etabliert neue Konsummuster – und zeigt erneut, dass die Ökonomie im Kern von den Verbraucherinnen und Verbrauchern umgestaltet wird. Insgesamt bewirkt der Trend zur Regionalisierung eine verstärkte Nachfrage nach heimischen Produkten, die eine Nähe zum Erzeuger versprechen und durch kurze Lieferketten für Nachhaltigkeit stehen. So gewinnen regionale Erzeuger und Online-Shops, aber auch Wochenmärkte enorm an Attraktivität. Der De-Globalisierungseffekt von globalen Krisen führt dazu, dass klassische Handelsstrukturen hinterfragt und im Hinblick auf Nachhaltigkeit neu gedacht werden.
In urbanen Kontexten bewirkt diese Entwicklung, dass immer öfter brachliegende und andere Flächen zum lokalen Anbau von Lebensmitteln umgenutzt werden. Anders als beim Urban Gardening, wo Lebensqualität und Erholung im Vordergrund stehen, geht es beim Urban Farming darum, wieder einen Teil der Lebensmittelproduktion in die Stadt zu verlagern, um Nachhaltigkeit und Kundennähe zu erhöhen. Neue Technologien wie Vertical Farming geben dem Thema zusätzlichen Antrieb. Urban Farming wird dabei zum Erfolgsmodell, weil immer mehr Menschen mit einem Bedürfnis nach regionalen Produkten und transparenter Produktion in den Städten versorgt werden müssen.
So wie sich die Landwirtschaft einst durch die Industrialisierung stark veränderte, erleben wir nun einen weiteren Wandel, dessen Tragweite nicht nur für die Agrikultur, sondern für die gesamte Nahrungsmittelproduktion immens sein wird. Über kurz oder lang wird die industrialisierte Landwirtschaft, die unter dem Klimawandel leidet, durch eine neue Form ergänzt werden, die mit den Menschen vermehrt in die Städte zurückkehrt. Die Landwirtschaft wird dabei zunehmend auch zur Stadtwirtschaft.
Die Generation Global als treibende Kraft
Die Dezentralisierung der Nahrungsmittelproduktion in den urbanen Zentren – ob vertikal, auf Dächern, in den Wohnungen oder in Laboren – ist ein wichtiges Puzzlestück eines neuen Umwelt-Mindsets, das sich rund um den Globus etabliert. Insbesondere unter jungen Menschen kristallisiert sich eine neue globale Identität heraus, die bereits zu einem zentralen Treiber des Wirtschaftswandels geworden ist: die Generation Global.
Die jungen Globalistinnen und Globalisten sind angetrieben von der Erkenntnis, dass sich globale Herausforderungen nicht mit nationalem Denken lösen lassen. Sie nutzen das Netz, um Lösungen zu finden und globale Probleme bei ihrer lokalen Wurzel zu packen. Aufgewachsen in Zeiten von Vernetzung, Wohlstand und Globalisierung, ist Nachhaltigkeit für diese nachwachsende Generation ebenso zentral wie die Abkehr von Ideologien, politischer Rhetorik und Statuskämpfen. Sie steht für einen progressiven Pragmatismus, für vernetztes Denken und eine neue Ernsthaftigkeit, die sich aus dem Wissen speist, dass es um nichts weniger als um ihre eigene Zukunft geht. So hebt die Generation Global den kritischen Konsum auf ein neues Level – und krempelt mit ihrer Suche nach einem sinnhaften Tun auch die Logik der Leistungsgesellschaft um. Wirtschaftlich wie gesellschaftlich wird auch damit der große Shift vorangetrieben, der Sinnhaftigkeit sowie ökologischen und sozialen Mehrwert zu zentralen Bewertungskriterien macht.
4 Zukunftsthesen zum Megatrend Neo-Ökologie
- Der Mensch reintegriert sich in das Ökosystem Erde.Das planetare Problem des Klimawandels und globale Katastrophen wie die Corona-Pandemie stoßen den Menschen von seinem Thron: Er ist weder Zerstörer noch möglicher Retter der Welt. Mit dem Wandel hin zu neuen, lösungsorientierten Standards ordnet sich der Mensch endlich richtig ein: als Teil des vielfältigen, resilienten, sich selbst organisierenden Systems Erde.
- Nachhaltigkeit bedeutet klüger, nicht weniger.Die Neo-Ökologie der Zukunft richtet sich auf eine neue Art des Verbrauchs aus: weg von der Verknappungsmaxime, hin zu einem intelligent-nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Eine wichtige Rolle spielen dabei technologische Innovationen. Green Tech steht nicht im Widerspruch zur Natur, sondern hilft vielmehr, die heutigen und künftigen Herausforderungen zu überwinden.
- Das Wirtschaftssystem wird zum Wertesystem.Die Corona-Krise hat klar vor Augen geführt, dass es kein „Weiter so“ mehr geben kann – und dass es auch ganz anders geht. Immer deutlicher wird dabei, dass sich die Wirtschaft fundamental transformiert in Richtung einer neuen Sinn-Ökonomie: Statt auf Wachstums- und Profitmaximierung fokussiert die Wirtschaft von morgen auf Nachhaltigkeit, Postwachstum und Gemeinwohl.
- Die Generation Global schafft eine nachhaltige Welt.Die nachwachsende Generation prägt ein neues globales Mindset. Sie steht für progressiven Pragmatismus, für vernetztes Denken und eine neue Ernsthaftigkeit – weil es um ihre Zukunft geht. Sinn und sozialer Mehrwert sind für sie elementare Kriterien eines kritischen Konsums. Das Ziel der Generation Global: eine nachhaltigere, gerechtere Wirtschaft und Gesellschaft.
Neo-Ökologie 2023
Von der Verzichtsideologie zur Blauen Transformation
Vor 15 Jahren setzte das Zukunftsinstitut ein „Neo“ vor den Megatrend der Ökologie, weil wir wussten, dass es mit diesem Trend so nicht weitergehen konnte. Wir waren uns aber auch gar nicht sicher, ob ein „Ökologie-Megatrend“ überhaupt existierte. Zwar gab es schon damals viele Zeichen und Hinweise für die steigende Bedeutung des Ökologischen – die ständige Ausweitung von Ökologie- und Klimathemen in den Medien, die Marktveränderungen im Food-Bereich, wo der Bio-Trend begann, der Beginn des Veganismus, die Anfänge der Debatte um den Klimawandel. Doch gleichzeitig schien Ökologie etwas zu sein, was die Welt nicht wirklich bewegt, sondern nur erregt, in Form von Deutungskämpfen, Deklamationen und jeder Menge Greenwashing.
Womit wir beim Kernproblem dieses Megatrends angelangt sind. Ist Kernseife unser Schicksal? Ist das Handlungsprinzip der Ökologie die Reduktion? Oder sogar die nötige Regression gesellschaftlicher Strukturen hin zu Bescheidenheit und Verzicht, zu einer neuen Armutsgesellschaft? Ökologie ist bis heute ein Schuld- und Mangelthema. Es geht vor allem darum, worauf man verzichten muss, was nicht möglich ist. Ein im Grunde apokalyptischer Komplex, der mit Sünde und Schuld verknüpft ist. Das große Problem dabei ist: Schuld und Angstgefühle machen starr und handlungsunfähig.
Das Zukunftsinstitut definiert deshalb einen neuen Ökologiebegriff, der diese Blockaden aufheben kann: die Blaue Ökologie. Blau ist die Farbe der Erdatmosphäre aus dem Weltraum gesehen, die Farbe der Utopie – und des Wasserstoffs. Blau steht für die Erkenntnis, dass Natur keine Knappheit kennt, sondern Überfluss als Grundprinzip hat: Wir haben genug Energie, Moleküle, Techniken, die uns auch in Zukunft ein Leben auf dem Planeten Erde ermöglichen. Deshalb ist die Blaue Ökologie (im Gegensatz zur grünen) auch ein Technologiethema: Transformationstechnologien, die sich heute schnell entwickeln, machen es möglich, eine ökologische, postfossile Lebensweise als sinnvollen Gewinn zu definieren – einen Gewinn an Lebensqualität und Zukunftssicherheit.
Die Blaue Ökologie ist eine konstruktive Ökologie, die den menschlichen Einfluss auf die Ökosphäre nicht leugnet oder ablehnt, sondern klug moderiert. Sie kombiniert Technologie, intelligente Systeme und Bewusstseinswandel zu einer neuen Veränderungslogik. Damit kann sie die alte, ideologische und polarisierte Ökologiedebatte ablösen und eine echte Transformativität schaffen, die die Menschen ergreift. Dies könnte tatsächlich die größte Transformation unserer Epoche einläuten.
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