Sollen wir über Kollapsologie sprechen?

Die Geschichte lehrt uns, dass Zivilisationen entstehen und fallen; da sie geboren werden, werden sie auch irgendwann sterben.

Manche sterben einen dramatischen Tod, andere verblassen einfach oder werden nach und nach ersetzt. Es ist sinnvoll, sich mit dem Sterben von vergangenen Zivilisationen und Kulturen auseinander zu setzen um zu sehen, was wir daraus lernen können.


Man kann heute in Paris schon einen Masterstudiengang über Kollapsologie belegen, bzw. einen Kurs über die Risiken, die dabei entstehen und wie man sich darauf vorbereitet.

Natürlich unter der Annahme, dass solche gesellschaftlichen Zusammenbrüche auch heute in unserer westlichen Industriegesellschaft passieren können.




Laut Jared Diamond, einem Akademiker und Autor des 2005 erschienenen Buches „Collapse - wie Gesellschaften zusammenbrechen oder überleben“, können wir bereits die Voraussetzungen für Zusammenbrüche in manchen Ländern feststellen: „Wie schon in der Vergangenheit erkennbar, kann es in Ländern, deren Umwelt geschädigt ist und die überbevölkert sind, oder beides, zu politischen Unruhen kommen und ihre Regierungen brechen zusammen. Wenn Menschen verzweifelt sind, unter Stress stehen und keine Hoffnung haben, dann beschuldigen sie die Regierung, die sie für verantwortlich halten, dass sie die Probleme nicht in den Griff bekommen. Die Menschen versuchen dann zu fliehen, und das um jeden Preis. Sie kämpfen um Land, sie morden sogar dafür und Bürgerkriege entstehen. Wenn Menschen nichts zu verlieren haben, werden sie selbst zu Mördern oder unterstützen terroristische Regimes.“


Das Jahr 2084 liegt für uns noch weit in der Zukunft. Doch wie wird die Welt, wie wir sie kennen, dann aussehen? Welche technischen Neuerungen werden dann unser Leben bestimmen? Was wird für uns normal sein, was jetzt noch utopisch klingen mag?


Der bekannte Mathematikprofessor John Lennox zeigt, was künstliche Intelligenz, Biotechnik und neueste technologische Entwicklungen jetzt schon leisten, was Nutzen und Gefahren sind und wohin sie uns führen können.


Würden wir heute unsere Erde auf ihre Gesundheit und Sicherheit hin prüfen, würden wir rasch einige ernste Bedrohungen feststellen. Trinkwasserknappheit, ausgelaugte Ackerböden, Klimawandel, Überbevölkerung, Verschmutzung und Umweltgifte, Ungleichheiten, fragile Wirtschaftssysteme und so weiter. Diamond zufolge sind das alles Zeitbomben, deren Sicherungssplinte bereits gezogen sind und die in einigen wenigen Jahren, längstens aber in 50 Jahren eskalieren werden.


Der Weg den wir heute beschreiten ist nicht nachhaltig, und entweder wir passen uns an, oder wir werden gezwungen werden, uns anzupassen. Wie bei jeder Bestandsaufnahme oder Sicherheitscheck ist es sinnvoll, alle Bedrohungen aufzulisten und sich entsprechend vorzubereiten.


Wie immer gibt es auch heute jene Menschen, die diese Probleme nicht wahr haben wollen und die solche Untersuchungen als `apokalytisch´ bezeichnen oder gar als religiöse Endzeitlehre. Aber sich die heutigen Gegebenheiten vor Augen zu führen und auf etwaige Probleme vorzubereiten ist nicht dasselbe, wie eine Weltuntergangsstimmung zu unterstützen und zu fördern. Als sie Sowjetunion zusammenbrach war das nicht das Ende der Welt. Als das Römische Imperium zerfiel, drehte sich die Welt weiter, aber eben nicht die Welt, wie die Römer sie kannten.


Das Versagen darin, Probleme nicht klar zu beschreiben, ihre zukünftigen Folgen nicht vorwegzunehmen, hat immer schon dazu beigetragen, dass Zivilisationen untergegangen sind.


Einer der Gründe, weshalb Probleme nicht wahrgenommen werden, besteht darin, dass es „Interessenskonflikte zwischen den kurzfristigen Interessen der herrschenden Klasse und den langfristigen Interessen der Gesellschaft als Ganzes gibt. Das gilt insbesondere, wenn es der herrschenden Klasse gestattet ist, sich nicht für ihre Taten verantworten zu müssen.“ Stellen sie sich vor, sie wären ein reicher Grundbesitzer und könnten ein Vermögen daran verdienen, den Wald zu roden, Ackerböden industriell zu bewirtschaften oder durch die Ausbeutung von Rohstoffen oder den Verkauf des Landes an rücksichtslose Investoren, um den Preis, dass dieses Land für zukünftige Generationen verloren ist. Wenn sie so viel daran verdienen könnten, würden Sie da zum Wohl zukünftiger Generationen oder des Ganzen widerstehen?


Wie auch immer, die meisten Menschen, die diese Wahl hatten, konnten in der Vergangenheit nicht widerstehen und darin liegt die Crux begraben: Unsere heutigen Probleme sind hausgemacht und so oder so, die Entscheidungen sind zugunsten der höheren Gewinne gefallen. Wenn diese Art des „Wirtschaftens“ und dieses materialistische Denken unsere gesellschaftlichen Entscheidungen weiterhin steuern und wenn wir ständig die sofortige Belohnung für unser Handeln einfordern, dann wird unsere industrielle Zivilisation an die Wand fahren. Wenn also Korruption und falsches Denken diese Gesellschaft zerstören, dann sollten vernünftige Werte und ehrliche Motive auch wieder eine neue Gesellschaft hervorbringen können.




Daher, ja, wir müssen über Kollapsologie, die Wissenschaft vom Zusammenbruch der Gesellschaft sprechen; und in diesem Zusammenhang neue menschliche Werte und Geisteshaltungen definieren, wenn wir diese Krise überstehen wollen, der wir gegenüber stehen. Wir müssen einen neuen Weg einschlagen, einen neuen Lebensstil schaffen, der eine Bildung anbietet als Grundlage für mehr Altruismus, mehr Zusammenhalt und Großzügigkeit. Um eine Gesellschaft schaffen, die wieder der Vernunft verpflichtet ist und nicht den Wünschen. Die Zukunft bleibt offen, aber es hat keinen Sinn, mit geschlossenen Augen auf sie zuzugehen.George Orwell reloaded: In „2084 - Das Ende der Welt“ entwirft Boualem Sansal die Vision einer religiösen Diktatur. Dystopischer Horror, der leider vor dem Schrecken der Gegenwart verblasst. Seit Jahren warnt der algerische Schriftsteller in Büchern und Reden vor dem Vormarsch des Islamismus. Er kritisiert die religiösen Eiferer in der arabischen Welt und das „ohrenbetäubende Schweigen“ muslimischer Intellektueller. Wie der Glaube zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden kann, konnte der 1949 in Téniet el Had geborene Ökonom aus der Nähe studieren. Zwischen 1992 und 2006 führten in seiner Heimat bewaffnete Islamisten und die Armee einen brutalen Krieg, dem viele zehntausend zum Opfer fielen. Die Angst sei sein größter Feind, sagt Sansal, der trotz der Gefahr noch immer bei Algier lebt und anders als viele Kollegen nicht nach Paris emigrierte. Für seinen Mut wurde er unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.


Groß waren deshalb die Erwartungen an seinen neuen Roman, von dem sich bald herumsprach, er setze sich wie schon frühere Werke Sansals mit religiösem Fanatismus auseinander. Als er voriges Jahr schließlich auf Französisch erschien, avancierte „2084“ zum meistdiskutierten Buch der Rentrée 2015. Heftig diskutiert auf allen Kanälen, verkaufte sich dieser Gruselbericht über das fiktive Land Abistan fast dreihunderttausendmal. Jetzt ist „2084 - Das Ende der Welt“ in der Übersetzung von Vincent von Wroblewsky auch auf Deutsch zu lesen.

Der in vier Bücher und einen Epilog unterteilte Roman begleitet den lungenkranken Mittdreißiger Ati, der nach einem Sanatoriumsaufenthalt im entlegenen Ouâ-Gebirge in seine Heimatstadt zurückkehrt und dort plötzlich begreift, dass er tatsächlich in einem Gefängnis lebt. Abistan heißt dieses „Land der Gläubigen“, das in einer unbestimmten Zukunft aus den Trümmern des „Großen Heiligen Krieges“ hervorging und dem allmächtigen Gott Yölah huldigt. Dessen Statthalter auf Erden ist Abi. Zwar hat kein Abistaner diesen „höchsten Führer der Welt“ je gesehen. „Ihn dem Blick des gemeinen Mannes auszusetzen war undenkbar“, weiß der Erzähler zu berichten. Doch soll Abi, munkelt man, einäugig sein und außerdem unsterblich. Abgeschirmt von der Welt, lebt er angeblich in einem Palast, der von Männern kontrolliert wird, denen bei der Geburt das Gehirn entfernt wurde. Jede menschliche Regung ist ihnen fremd, ihre Grausamkeit kennt keine Grenzen.


Überhaupt wacht der Staatsapparat mit unerbittlicher Härte über seine Bürger. Die drei Leitsätze der Regierung lauten: Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei und Unwissenheit Stärke. Schon mit dem Titel zeigt Sansal, an wem sich sein Tableau einer totalitären Gesellschaft orientiert: an Orwells Roman „1984“, der, 1948 unter dem Eindruck von Nationalsozialismus und Stalinismus entstanden, zum Kanon der Weltliteratur zählt. Anspielungen auf Orwells Überwachungsstaat, der seine Untertanen bis in ihre geheimsten Gedanken kontrolliert, finden sich bei Sansal zuhauf. Das Orwellsche „Neusprech“ heißt hier Abilang. Die Nachfahren des Großen Bruders sind „V“ genannte Wesen, die sich auf die Kunst der Telepathie verstehen und das Land unablässig nach Lügnern abscannen. „Big Brother is watching you“ lautet der eine Satz bei Orwell, den wohl jedes Schulkind kennt: „Bigaye beobachtet Euch!“, heißt es bei Sansal.



In dieser buchstabengetreuen Übernahme liegt eines der Probleme von „2084“, schon allein deshalb, weil Orwell heute als Metapher für nahezu jede kulturpolitische Debatte von der Datenüberwachung bis zur Diktatur herhalten muss. Boualem Sansal buchstabiert seine Parabel indes mit grimmiger Wut eins zu eins durch. Das führt dazu, dass seine Figuren, allen voran Ati, kaum Kontur erhalten. Weil sie von ihrem Erzähler zu sehr dafür in Anspruch genommen werden, bestimmte Haltungen und Meinungen zu transportieren. Wie aber lässt sich der Welt von heute mit Google und „Islamischem Staat“ und all den daraus entstehenden Herausforderungen literarisch überhaupt beikommen?


Michel Houllebecq wählte dafür in seinem ebenfalls 2015 in Frankreich erschienenen Roman über einen französischen Gottesstaat die Mittel des Zynismus und der Komik. Wenn er sich etwa über die schwächlichen Pariser Intellektuellen lustig macht, die sich mit dem totalitären System durchaus arrangieren können, liest sich „Unterwerfung“ streckenweise wie eine abgründige Komödie. Bei Sansal gibt es keine Zwischentöne und auch keine Transformation. Das Böse ist längst da und etabliert, es ist allgegenwärtig. Die Männer tragen Bärte, die Frauen Schleier und bodenlange Burniqabs, gebetet wird neunmal am Tag. Gepredigt werden Geduld, Gehorsam und Unterwerfung, Museen sind verboten, ebenso Musik und Literatur. Die einzige erlaubte Schrift ist das heilige Buch Gkabul, zu Deutsch: Zustimmung.


Wer die Gesetze missachtet, seine Nachbarn nicht ausspioniert, seine Kinder nicht züchtigt oder öffentliche Hinrichtungen schwänzt, wird vom Komitee für Moralische Gesundheit aufs grausamste bestraft. Deshalb befindet sich auch Ati bald schon auf der Flucht. Denn einmal mit dem Gedanken der Freiheit infiziert, entlarvt er Schritt für Schritt das politische System als riesiges Lügengespinst: Abistans Religion ist Fiktion, ausgedacht von zynischen Clans, die sich in einem erbitterten Machtkampf befinden. Woher allerdings dem schüchternen Ati in einer Welt der totalen Kontrolle ein Gedanke wie Freiheit überhaupt in den Sinn kommt, bleibt ungeklärt. Boualem Sansal will dem Horror der Gegenwart mit seiner apokalyptischen Vision literarisch entgegentreten. Das ist gerade bei einem so kenntnisreichen Autor wie ihm allemal legitim. 


Doch das böse Märchen verblasst vor einer Wirklichkeit, die längst ihre eigenen Dystopien schreibt. Am Jahresanfang wird zur Selbstoptimierung aufgerufen: 21 Tage nicht meckern, keinen Alkohol trinken oder 30 Tage Yoga machen. Das könnte die Politik doch auch! Vier Vorschläge, um den politischen Geist durchzulüften.


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